"Jonas schaffte es tatsächlich, mich zu beeindrucken - und ein wenig einzuschüchtern.
'Ok ... ich war wohl nicht fair zu dir.' gab ich zu. 'Du hast also nach einer möglichst rücksichtsvollen Gelegenheit gesucht, um dich von Cordula zu lösen?'
Meine zögernde, unsichere Frage schien Jonas richtig gut zu tun.
'Ja,' antwortete er: 'Solange sie schlimm dran war, war es mir nicht möglich, sie zu verlassen. Aber nach der zweiten Operation und der Rehabilitationskur hatte ich ein gutes Gefühl, dass sie mit der Situation irgendwie umgehen könnte.
Versuche einfach mal zu akzeptieren: Wir waren nicht verheiratet. Wir wollten das auch gar nicht. Wir hatten eine Abmachung. Und das war nicht einfach nur ein Deal zwischen zwei Personen, sondern viel mehr: Es war das reale Abbild unserer Lebensphilosophie: 'Ein bischen Spaß haben' - verstehst du? Danach streben doch sowieso fast alle Menschen, nur wagen es die wenigsten, das zuzugeben. Immer muss etwas Edles dazu geheuchelt werden, damit man nicht schief angesehen wird.'
Nach dieser Rede blickte Jonas mich fast freundlich an. 'Cordula hatte die Stärke, ehrlich zu sein und verwirklichte das in ihrem Leben. Wie auch ich. Es war einfach Pech, dass sie diese Krankheit ein einem so frühen Lebensstadium bekam. Und es war auch Pech für mich. Ich hatte immer Angst davor gehabt, in solch eine Situation zu schlittern: Meine Mutter pflegte meinen Vater sechs Jahre lang. Als er starb, war sie ein psychisches Wrack, ihre Wirbelsäule kaputt, und sie begriff, dass sie die besten Jahre ihres Rentenalters vergeudet hatte. Sie lebt noch - aber sie ist krank und verbittert. Dies ist der Lohn dafür, dass sie jahrelang meinen kranken Vater geliebt und sich um ihn gekümmert hat, und dies ist auch der Grund, warum ich glaube, dass der hohe Wert aufopfernder Fürsorge nichts anderes ist als eine trügerische Mystifikation. Wer dankt mir das denn? Keiner!
Ich habe für mich entschieden, dass nur Spaß und Freude zählen - die zahlen sich nämlich sofort aus, verstehst du? Es gibt keine Schuld, die ich Cordula zurückzahlen müsste, ich habe keine Gesetze gebrochen: Ich bin frei!'
Tatsächlich wirkte er überhaupt nicht frei, sondern eher wie ein Gejagter, und mir schien, dass seine eloquente Verteidigungsrede nicht vor allem mir galt, sondern einem anderen, unsichtbaren Ankläger, der ihn schon oft gepeinigt haben musste.
'Glaubst du im Ernst, was du mir da erzählst? Ich werde dich sicher nicht weiter belästigen. Aber ich glaube, es ist sehr wichtig für jeden Menschen, ehrlich zu sich selbst zu sein.' wandte ich ein."
"Er trat einen Schritt zurück und erhob seine Arme wie in Verteidigung gegen mich: 'Alles eine Frage der Einstellung. Eine objektive Wahrheit gibt es nicht. Wichtig ist, wovon man überzeugt ist: Wenn ich glaube, das alles ok ist, dann ist das so, verstehst du? Du kannst nicht in meinen Kopf sehen, darum ist dein Glaube für mich völlig bedeutungslos... gehe mir also damit nicht mehr auf die Nerven!'
Er trat einen weiteren Schritt zurück und fügte hinzu: 'Nein, du brauchst mich nicht zum Friedhof zu fahren. Ich kann laufen. Die frische Waldluft wird mir besser bekommen als der stickige, von Religion vergiftete Dunst in deinem Auto.'
Er machte sich davon.
'Von Religion vergifteter Dunst in meinem Auto'?! Was für ein Knilch! Ich hatte die Last des schlechten Gewissens, unter der er litt, körperlich fühlen können. Und es schien mir absurd zu glauben, dass es sich bei all dem nur um eine Frage der Einstellung handelte - dass man sein Gewissen einfach dadurch erleichern könnte, indem man sich an irgendwelche willkürlichen Lehren klammert, die das eigene Verhalten rechtfertigen."
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