Samstag, 20. September 2008
Margaretes Geschichte XXXVIII: Die Närrin

"Manchmal bin ich eine solche Närrin und kriege nicht mal mit, was mit meinen engsten Freunden los ist ... :(

Einen Monat nach ihrer Heimkehr schien bei Cordula alles ganz gut zu laufen – außer ihren üblichen Handicaps, was das Sprechen, schnelle Bewegungen, eine permanente Müdigkeit und gelegentliche Depressionen betraf. Ihr Haar wuchs wieder, und so wollte ich sie eigentlich nur das übliche fragen, was sie von mir erledigt haben wollte. Stattdessen erkundigte sie sich: "Was weißt du eigentlich über Hirntumore?"

Ich wusste nicht sehr viel über diese Krankheit. Ich wollte es auch gar nicht wissen. Aber Cordula führte mich zu ihrem Computer: "Schau!"

Wir surften zu einer Website mit jeder Menge Information über alle mögliche Krebsarten, Klinik-Informationen, Selbsthilfegruppen, und so weiter. Sie nötigte mich auch, über ihren Krebstyp nachzulesen: 'Glioblastom'. Ich las und las. Cordula zeigte mir die Zusammenfassungen und die Details: 'Schlechte Prognose' – durchschnittliche Überlebensdauer nach einer Diagnose: Wenige Monate. Es sah alles aus wie ein Todesurteil. Danach rief sie Forumsberichte auf, von denen die meisten so begannen: 'Mein Vater/Meine Schwester/Mein Sohn erhielt die Diagnose Astrozytom IV. Kann uns jemand einen Rat geben?' Darauf folgte die in mehreren Postings geschilderte Leidensgeschichte – wie die Schlacht gegen die Krankheit begann, begleitet von vielen gutgemeinten Ratschlägen und Schilderungen von Krankheitsverläufen und therapeutischen Anstrengungen, welche ungeheure Angst, Zwischenzeiten von Hoffnung, Freude, Verzweiflung und viel Solidarität offenbarten. Am Ende aber die Nachricht: 'Ich bedaure, euch mitteilen zu müssen, dass sie/er starb ...' Immer wieder unterschiedliche Leute, zT sehr unterschiedliche Krankengeschichten, aber stets dasselbe Ende. Ich wurde bleich wie ein Leinentuch und fühlte mich furchtbar. Es war offensichtlich, wie Cordula ihr Gemüt mit diesem Stoff regelrecht vergiftet hatte.

Ich sah sie an, versuchte ein Lächeln aufzusetzen und sagte ziemlich hilflos: "Es gibt immer Hoffnung .... aber du solltest nicht so viel von diesem Zeugs da lesen."


Meine Worte nicht weiter beachtend lotste sie mich auf eine andere Website, die neue Therapien schilderte. Ich las von speziellen Radiotherapien, eine Glycerin-Therapie, Hirnimplantaten, Glukose-PET und so weiter.

Schließlich deutete Cordula auf einen Eintrag über eine Therapie mit einem Medikament namens Roaccutan: 'Ich habe diese Leute kontaktiert.' sagte sie und zeigte mir einen Brief der dazugehörigen Klinik. Man hatte sie für den kommenden Tag zu einer medizinischen Untersuchung eingeladen.

'Oh, das ist ja schon morgen!' sagte ich.

'Ja,' antwortete sie. 'Kannst du Rind zu dir nehmen, solange ich nicht zu Hause bin?'

'Hmm... in Ordnung.' sagte ich. Es war nicht das erste Mal, dass Rind bei mir Urlaub machte.

Als wir uns verabschiedeten, gab mir Cordula die Hundeleine und umarmte mich so zärtlich und innig, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Sie war drauf und dran zu heulen, als ich Rind, der nicht von ihr weg wollte, in meinen Mini zwang."

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